Roman Rocknroll: 1. Abschnitt

Andi und ich fuhren alljährlich zu RockamRing in die Eifel. Ich fand es witzig, daß ich Andi nur einmal im Jahr für diese fünf Tage zu Gesicht bekam. 1998 hatten wir zusammen Abi gemacht und ein Jahr zuvor waren wir zum erstenmal mit noch anderen Jungs aus der Stufe zu diesem riesen Musik-Festival angereist. Nach dem Abi wurden wir schnell weniger aus der Ur-Besetzung, weil es jeden in seinen Beruf oder weit weg in andere Städte verdrängte. Nur Andi und ich wurden so große Fans von diesem Event, daß wir seither ohne Unterbrechung jedes Jahr ende Mai, anfang Juni gemeinsam dort aufkreuzten. Manchmal konnte jeweils einer von uns, oder wir beide zugleich, Bekannte animieren, mitzufahren. Aber das wechselte von Jahr zu Jahr.
Wieder einmal war es soweit und ich freute mich mehr auf das kommende Wochenende als auf Weihnachten, Karneval und Ostern zusammen: RockamRing fand meistens an Pfingsten statt. Es war mir folglich das liebste Kirchenfest, obwohl es für Andi und mich nicht viel mit Kirche zu tun hatte. Ein paar Wochen vorher hatten wir telefoniert und uns die rhetorische Frage gestellt, ob wir dieses Jahr wieder zusammen hin fuhren. Endlich gings wieder los. Ich hatte alles gepackt und wartete, daß Andi mit seinem Golf vorfahren würde, um mich und meine Sachen aufzuladen. Zum Einstimmen dröhnte schon seit Stunden der Rock aus den Boxen meiner Stereo-Anlage. Der Wetterbericht versprach viel Sonne und wir hatten dieses Jahr mit einem echt fetten Line-up zu rechnen. Es klingelte, ich dückte auf den Türöffner. Da war Andi, wie er leibt und lebt. Ein ganzes Jahr war vergegangen. Man gab sich die Fünf, ich umarmte meinen Kumpel und wir lachten voller Vorfreude. Schnell packten wir meinen Kram in seinen Karren, den er wieder eigens für unser Wochenende geschmückt hatte: Im Seitenfenster, das nachher zur Straße hin geparkt sein würde, hing der aktuellste Ausdruck des Bühnen-Programms. In der Heckscheibe hing Andis obligatorische Che-Flagge. Sogar uns selber schmückten wir aus gegebenen Anlaß: Andi trug seine buntgestrickte Mütze, die er sich vor Jahren an einem Festivalstand gekauft hatte, und ich meinen Strohhut, der mir irgendwann mal während eines Konzertes zugeflogen war. Andi schob eine CD mit Rock-Mucke ein und wir fuhren los.
„Au Mann, Alter. Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, wenn wir endlich unsere Zelte aufgebaut haben, und die Plane aufgespannt, und wir uns um nix mehr kümmern müssen die nächsten Tage. Dann können wir uns einfach in den Festival-Sessel knallen und saufen“, sagte Andi auf der Fahrt.
„Yeah, Baby.“
Andi erging sich im Line-up: „So krass wie dieses Jahr war es noch nie. Pearl Jam, Rammstein, Luftschmied...“
„Luftschmied?“
„Aerosmith, Alter!“
Ich liebte Andi für seine Sprüche. Wenn mir nix mehr einfiel, dann erettete mich die Erinnerung an einen Spruch von ihm bestimmt aus jeder Trübsal: Der Biber kommt aus Kanada, kannada auch bleiben? Ich schmiß mich weg über so viel Blödsinn. Andi war ne echte Frohnatur. Sonst im Leben ein vernünftiger Mensch mit einem festem Handwerksberuf, wurde er in seiner Freizeit zu einer echten Party-Kanone, ging auf alle Leute zu und verbreitete überall, wo er hinkam, gute Laune. Er hatte die richtige Art, mit den Betrübnissen des Lebens umzugehen. Ich erinnere mich, wie wir kakaoschlürfend im überfüllten Pausen-Foyer unserer Schule standen und „Flugzeuge im Bauch“ von Grönemeyer im Duett zum Besten gaben. Sehr theatralisch sangen wir vor allen Leuten: Gib mir mein Herz zurück, du brauchst meine Liebe nicht, gib mir mein Herz zurück, bevors auseinander bricht. Je eher, je eher du gehst, umso leichter, umso leichter wirds für mich. Oooh, gib mir mein Herz zurück...
Das Festival begann erst Freitag. Wir fuhren schon Donnerstag hin, damit wir es uns in Ruhe in unserem Waldstück gemütlich machen konnten. Der Wald hatte gegenüber den offiziellen Camping-Plätzen viele Vorteile: Er gab uns Schutz vor Regen und zuviel Sonne. Man konnte ein Feuer machen oder weiter drinnen, im unbewohnten Teil, ein Häufchen legen. Das war auf Festivals der unangenehmste Teil: Man hatte die Wahl zwischen einem stinkenden Dixi-Klo oder ein die Oberschenkelmuskulatur beanspruchendes, dafür aber luftiges Gehocke zwischen den kleinen Tannen. Mir war letzteres immer lieber gewesen. Und da ich eh breit wie`n Schwein rumlief, machte es mir gar nicht mehr soviel aus. Direkt neben dem Wald verlief die Straße, die hoch zu den Eingängen des Festival-Geländes führte. Hier parkten wir jährlich Andis Auto und spannten Absperrbänder für Leute von uns, die erst am Freitag kommen wollten. Lebenswichtige Sachen wie Bier konnte man so in der Nähe vom Zelt vor Räubern wegschließen.
Als wir ankamen fand ein immergleiches Ritual statt. Wir parkten zuerst das Auto ordnungsgemäß am Straßenrand und achteten darauf, daß die Reifen nicht mehr den weißen Seitenstreifen berührten oder ihn gar überragten. Sonst wurde das Fahrzeug abgeschleppt. Anschließend gingen wir das noch weitgehend zeltfreie Waldstück besichtigen und suchten uns den schönsten Flecken aus. Feierlich wurden dann die ersten Bierdosen geknackt und der so geweihte Ort für die nächsten Tage von uns begrüßt. Wir bauten unsere Zelte auf und befüllten sie mit unseren Isomatten, Schlaf- und Rucksäcken. Im Anschluß spannten wir eine Plane mit langen Kordeln an den umstehenden Bäumen fest. Dabei achteten wir sorgfältig auf einen Ablauf für das Regenwasser. Der Grill wurde in Stellung gebracht, und dann konnte er losgehen, der ganz normale Wahnsinn.

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