Roman: Lampenfieber, 6. Kapitel

Arthur Wilhelm Kinsinger hat eine SMS auf seinem Handy. Erst morgen früh - viel zu spät - wird er darauf schauen: „HIER TEIZLER: KOMM SOFORT ZURÜCK INS THEATER - DU MUSST SPIELEN! HENDRIK IST UMGEKIPPT.“
Hier auf dem Küchentisch nimmt das Gerät gewissenhaft Meldung auf, und getreu übergäbe es diese auch seinem Adressaten, welcher Samstagmorgen, 7 Uhr, todmüde und glücklich, die Wohnungstür aufschließen und sich Kaffee machen würde. Doch aber, halblang! Es ist ja erst Freitag, kurz nach 20 Uhr. Auf dem Bedienstetenparkplatz des Theaters sitzt Arthur in seinem Porsche, wo er sich bereit macht, diese Nacht zu leben! Hendrik wird jetzt bestimmt gerade von „Mutti“ (Anita) geschminkt. Der Absahner! Gestern diese wahnsinnig gute Premiere und heute schon wieder ausverkauftes Haus. Das wird den "Schrank" aber voll machen! Ja, Hendrik wird´s noch weit bringen. Berühmt wird der, das sag ich. Arthur dreht den Zündschlüssel `rum und fährt los - er hat kein Interesse am Ruhm. Die Nacht, die den jungen Kinsinger in ihr dunkles Gewand hüllt, mag er am liebsten. Man kann sagen, er sei Schauspieler nur zum Ausgleich. Für die Berechtigung, seine Freizeit ungestraft vor den Augen anderer Leute verbergen zu dürfen. Eigentlich ist er ein Wolf, der in Wäldern herumstreifen will. In heißen Wäldern, warum nicht in tropischen Wäldern? Und zu bestimmten Zeiten, da reißt er Frauen - Anna, die Frau des Intendanten, hat eine blühende Fantasie! Sie hat ihm bei einer Zigarettedanach einmal aus ihr erzählt, von einem Stamm der Nyber, und sie ist Anastasia, eine Europäerin, die es dorthin als kleines Kind verschlagen hat - ihre Eltern, die wurden von diesen Nybern womöglich verspeist, sind ja alles Kannibalen, die im Urwald! Wo leben die denn auch? Jedenfalls hat Anna erzählt, und es verschlug ihm die Sprache. Wie kann eine so lustige, herzensfrohe Seele wie die Anna nur solch grausame Fantasien entwickeln? Die macht der Tod genauso an wie Sex, wenn es nicht schon das gleiche für sie bedeutet... Mir egal. Ich fürchte mich nicht vor dem Tod, und er tritt aufs Gaspedal. Hendrik soll auf der Bühne glücklich werden und ich auf der Straße. Vielleicht wird ihn einmal dort oben der Tod ereilen, auf der höchsten Stufe, den Brettern, die die Welt bedeuten. Ich suche ihn mir lieber auf dem Asphalt!
Der Schauspieler lenkt seinen Porsche auf die Autobahn. Er raucht und hört Rockmusik, warum nicht? Arthur braucht keine Freikarten, er hat sie von Natur aus. Er ist die Freiheit.
„Jawoll!“


Samstag, 12. Februar
Fluch lastet auf Stadttheater
Nachdem letzte Woche bereits der Apoll-Darsteller Arthur Wilhelm Kinsinger bei einem Autounfall starb, schied nun auch seine Nachfolgebesetzung, Rolf Lüttgen, unerwartet aus dem Leben. Er ist einer der Opfer des tragischen Absturzes der Transatlantikmaschine vom Donnerstag.
Vergangene Woche erst sorgte der Intendant des Theaters, Erwin Teizler, schonmal für Schlagzeilen, da die zweite Aufführung des modernen Stücks spontan wegen "Künstlerversagen" abgesagt werden mußte.
"Wie ein Fluch" erscheint es den Mitarbeitern des Theaters, daß "soviel Unheil über die neue Inszennierung hereinbricht", sagt Anita Brügge, die Maskenbildnerin. Die weiteren geplanten Veranstaltungen für Ende Februar / Anfang März bleiben vorläufig abgesetzt.

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