Roman: Lampenfieber, 4. Kapitel

Rolf liegt unter Palmen und schlürft einen Longdrink aus einer Kokosnußschale. Dieser Urlaub ist genau das, was er gebraucht hat! Zwei Jahre ist er nicht mehr aus Deutschland rausgekommen - wie ungewöhnlich für einen Deutschen - das schreit doch geradezu nach Karibik! Karmen hat bis eben in der türkisen Südsee geplanscht - herrlich, könnte sie doch für immer hierbleiben. Sie sind praktisch ganz allein am Strand, Rolf betrachtet sie in ihrem Badeanzug, welch ein Geschöpf! Auf diesem Urlaub will er sie fragen. Sie sind schon zweieinhalb Jahre zusammen und er ist immer noch so verliebt, wie am ersten Tag, da er sie sah. Die niedliche Brandung umspielt Karmen die Fesseln; sie mustert einmal mehr ihren guten Fang: Aussehen ist ihr wichtig, Rolf ist sportlich gebaut - ein Athlet. Ein Diskuswerfer, wie sie mal einen als kleines Mädchen im Museum betrachtet hat. Sie liebt ihren Schauspieler mit dem festen Vertrag am städtischen Theater, betrachtet ihn, schaut verträumt zu seinen Augen hinüber und ihr fällt der Kopf leicht zur Seite. Endlich gibt es einmal nur sie zwei. Er - kein einziges Stück muß er spielen, nur lernen für die Sommeraufführung, "Adam und Eva".

In ihre lagunenblauen Augen fällt die braungebrannte Gestalt eines Eingeborenen. Er geht ulkig, ist noch weit weg aber kommt auf sie zu. Karmen kneift die Augen enger zsammen. Was trägt er denn da? Ein Tablett auf der flachen Hand, darauf liegt etwas... Rolf, der bemerkt, daß seine schöne Karmen rechts hinter seiner Bambusliege etwas fixiert hat, dreht sich um: Pepin, der höfliche Hotelangestellte von gestern. Er hat sie im parkartigen Anwesen zu ihrer neuen Behausung geführt. Eine Hütte ganz aus Bambus geknotet und mit kunstvoll verarbeitetem Palmblattdach! Was will er? Es sind keine weiteren Getränke bestellt, möchte er denn Bestellung aufnehmen - was für ein Tablett? Telefon!

*

Ich bin das Verdrängte, das, was mein apollinischer Herr und Geist aus dem Bewußtsein geschoben hat. An mich braucht er keinen Gedanken zu verschwenden. Nun, das ist mein Schicksal und meine Bestimmung. Ich lasse mir hierdurch aber nicht den Tag verdrießen. Ich genieße das Leben, wie alle es tun. Zwar existiere ich ohne daß mein Herrscher es wüßte, aber ich bin!
Ich sitze gerade im Café Delmont und es herrscht hier ausgediegene Stimmung an den Tischen. Die jungen Leute haben sich gar zu bunt untereinandergemischt. Vor mir, an dem Tisch der Wand gegenüber, schäkert eine üppige Biologiestudentin mit ihrem Lektor, der noch einen Freund mitgebracht hat. Durch eine edel gefertigte doppelte Türkonstruktion aus mittelbraun lackiertem Holz und nachtgeschwärztem Fensterglas, in dem sich die vielen Tischkerzen durcheinander spiegeln, schweben von draußen zwei Weiblichkeiten herein. Ihre Körper stecken in langen schwarzgrauen Stoffmänteln. Helleren weiten Stoff trägt die eine darunter als Hose; die andere, ihr Mantel vorne schon offen, eleganten schwarzen Rock bis an die fleischigen Waden, wo ihre Beine auf einmal in dicken grauen Strümpfen erscheinen und schließlich in schwarzen hochhackigen Lerderhalbstiefeln enden. Sie setzen sich an den letzten, im Raume diesseits der großen Theke, noch freien Tisch, vor die Biogruppe, und bestellen.
"Einmal Geschlechtsverkehr", sagt die mit dem helleren Hosenstoff - ein schwarzer Zopf baumelt ihr lustig vom Haupt -, zum jungen muskulösen Kellner hinauf. Es wackeln ihre langen Ohrringe, blitzen auf im Kerzenlicht, und sie befreit sich vom Mantel.
"Und ich hätte gern einmal die Muschi ausgeschleckt", fordert die im Rock. Ihre buschigen roten Haare sind geflochten und mit Spangen an ihren Kopf gezwungen. Sie macht sich ebenfalls mantelfrei. Der Kellner schmitzt und notiert: "Kommt sofort."
Ein Geräuschpegel ist hier - herrlich! - alle jungen, tatkräftigen Münder sprechen gleichzeitig, behauptend, wichtig, spastisch. Dazu der ruhige Dub: Moodorama, "Sinzing Sunset Boulevard“. Hier möchte ich sterben. Ich sitze hier mit Rolf, meinem langjährigen Freund. Wir waren vom ersten Augenblick an Kumpels. Wir trafen uns zum ersten Mal in der Fünf der Realschule. Wir sitzen an diesen Tischen: In der Mitte schwarzer Marmor mit weißen Schlieren darin. Außen Holz, farblich anscheinend auf das Eingangsportal abgestimmt. Rolf erzählt mir von seinen Plänen für den Urlaub. Karibik mit Karmen! Der Teizler will ihm zwar eine dritte Besetzung für den Apoll aufs Auge drücken - so wichtig scheint ihm diese Inszenierung zu sein - aber... "Nimm doch an", sage ich zu ihm. "Als dritte Besetzung ist es nicht verboten in Urlaub zu fahren. Du mußt nur erreichbar bleiben."
"Meinst du, ich will mir am Strand vom Hoteldiener ein Handy bringen lassen und da ist dann Teizler dran und sagt - entweder du brichst jetzt auf der Stelle deinen Urlaub ab und kommst hierher oder du kannst dich bei andern Schauspielhäusern vorstellen gehen - ?" Ich rate Rolf, Urlaub zu machen und die Kohle für die Rolle einzustreichen. Arthur und ich sind jung, dynamisch und kerngesund. Außerdem ist es ja nur für die ersten vier Aufführungen - es ist einfach völlig unwahrscheinlich! Wir bestellen erneut Weizenbier und ich sage dem Kellner, daß die sexuellen Spielchen der beiden Damen am Tisch gegenüber auf meine Rechnung gehen.
"Karmen werde ich aber nichts davon erzählen - sie ist manchmal übervorsichtig. Vielleicht will sie plötzlich nicht mehr. Sie freut sich so. Und ich mich auch, ich will sie fragen ob sie mich heiratet!"
Gegenüber werden Getränke serviert, der Kellner weist auf uns und die beiden Frauen schauen herüber, musternd, genau abschätzend, schauen sich gegenseitig an und ein kleines Lächeln umspielt dabei ihre Mundwinkel. Ist es verächtlich, ist es ängstlich? Sie schauen uns wieder an, ich sitze ihnen gegenüber und zwinkere ihnen zu. Rolf sitzt seitlich zu ihnen und er haßt mich jetzt. Er zeigt es nicht. Seine Lippen sind weder nach oben noch nach unten verzogen, nur gerade - und er starrt auf sein leeres Glas, das er in beiden Händen hält, in dem die Kerzen spiegelnd leuchten. Zwei Frauenkörper schimmern darin auf... Rolf fragt sich, mit welcher Miene ich das angestellt habe. Sie kommen tatsächlich an unseren Tisch. Rolf sieht es - er glaubt es trotzdem nicht! Wir schauen wie sie gleiten. Sie bewegen sich wirklich schön. Ich sitze auf einer Holzbank und diese schwingt sich kurvig weiter um den Tisch, bis dorthin, wo die mit dem schwarzen Zopf sich jetzt herniederläßt. Rolf sitzt rechts von mir, auf einem der schwarzhölzernen Stühle hier - mit dem hellen Geflecht als Sitzfläche. Auf ein weiteres Exemplar dieser Tischlerkunst preßt jetzt der mit dem Rock und dem roten Haar ihr frauliches Gesäß.
"Danke für die Einladung" und sie stellen sich vor: Links von mir rutscht Breda in ihren Stoffhosen auf dem glattpolierten Holz hin und her. Die rote Venus gegenüber ruht behäbig auf dem Bast, sie steckt sich eine Gauloises, légères, in Brand. "Ich bin Agnes", behauptet sie und pustet mir den Rauch ins Gesicht. Ich verheimliche den hübschen Visagen nun auch nicht länger Rolfs und meinen Rufnamen. Offenbare ihnen auch unseren Beruf. Alsbald schwindet jegliche Vorsicht und moralische Aufgesetztheit.
"Schauspieler, hier am Stadttheater - nein!"
"Was läuft denn gerade", meldet sich Breda zu Wort. "Ich war schon lange nicht mehr in einem Theater."
"Zur Zeit noch eine Shakespear-Aufführung. Das neue Stück läuft nächsten Monat an:
Apoll ein junger Dichtergott - Hendrik spielt darin die Hauptrolle." Die beiden schätzen mich erneut ab, ihre Augen werden größer - sie wissen es nicht, sie sind an diesem Abend schon unser Publikum! Rolf und ich spielen für sie:
Rolfs Part: "Unser Intendant verspricht sich viel von dem Stück, es ist seine Regie. Der Vorverkauf gibt ihm ja auch Recht."
Ich: "Wollt ihr vielleicht zwei Freikarten?" Zu gerne wollen sie das! Ich krame welche hervor und meine Hände schieben den teuren dünnen Karton über die Terra Marmor bis an die braunen Holzenden des runden Tisches. Links Breda, vorne Agnes. Rolf verdirbt das Spiel: "Tut mir leid, ich muß noch zu Karmen, meiner Freundin." Betont spricht er das Wort Freundin aus. Eine glatte Lüge. Karmen ist dieses Wochenende zu ihrer Familie nach Hamburg gefahren. Dort ist sie aufgewachsen und Rolf lernte sie in dieser Stadt auch kennen. Im Rausgehen trifft er den Kellner, - fast hätte er vergessen zu bezahlen - geht ab. Sichtlich enttäuscht bleiben die Mädchen mit mir allein am Tisch zurück.
"Hast du vielleicht auch eine Freundin, zu der du gleich mußt", fragt mich Breda sichtlich angesäuert.
"Nein! Verzeiht mir - es ist meine Schuld. Ich habe Rolf nicht gefragt ob er damit einverstanden ist, daß ich ich euch einlade. Er hat nur gesagt, er fände euch hübsch - und ich habe völlig ignoriert, wie sehr er an seiner Karmen hängt. Er will sie sogar heiraten."
"Und was hältst du vom Heiraten", fragt Agnes.
"Ich bin zu jung dafür" - die Frage amüsiert mich.
"Apoll, - das ist ein griechischer Gott nicht war", fragt mich Breda - nicht mehr sauer.
"Der Sohn des Zeus und der Leto!" weiß ich zu sagen.
"Wunderschön ist er, und man möchte ihn wohl für den griechischsten aller Götter halten. Er erfand die Heilkunst, außerdem ist er der Gott der Weissagung. Mit dem Bogen versteht er ebenfalls umzugehen und er entsendet seine Pfeile gegen die Giganten, die Kyklopen, selbst den gewaltigen Achilleus verschont er nicht."
Breda: "das ist ja ein Tausendsassa!"
Agnes: "Das ist längst nicht alles, von seinem erfindungsreichen Bruder Hermes erhält er eine Lyra, die dieser sich aus einer Schildkröte gebasteltet hat. Apollon ist fasziniert davon und gar trefflich singt und spielt er zur Leier: Zusammen mit den neun Musen unterhalten sie musikalisch die feiernden Götter!" - Donnerwetter wie sich Bildung und Schönheit in einem Körper vereint! - und Breda zieht mich am Arm zu sich und flüstert in mein Ohr. Ich muß sie anstarren, Breda und auch Agnes.
"Laß uns gehen", sagt schroff die Rothaarige. Sie kramen ihre Mäntel zurecht, kostümieren sich wieder darin. Breda lächelt mit zusammengepreßten Lippen.
"Kommst du mit", schaut mich Agnes an. Ungeachtet der Wortstellung klang es gar nicht wie eine Frage...

...hey, was soll das, Hendrik, laß mich doch sprechen - es ist mein Publikum!
Hendrik ist erbarmungslos zu seinem Ich. Er schließt seine Wohnungstüre auf: Niemand ist hier.

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