Die Kellnerin

Sie kellnerte immer Montags, Mittwochs und Freitags. In so 'nem Schickie-Micky laden, in den ich mich ohne sie wohl nie reinverirrt hätte. Ich suchte mir, meistens schon bevor ihre Schicht anfing, einen Platz am Fenstereck mit Blick auf die Bierterrasse, oder ich setzte mich direkt an die Theke. Dann kam sie mit ihrem Sommergesicht, den frischen blauen Augen und ihrem strahlenden Lachen, das meine dunkle, trübe Stimmung immer ein bißchen aufhellte. Dann gings los. Während sie ihr Wechselgeld zählte, nuckelte ich an einem Whiksy-Cola oder Gin-Tonic oder Vodka-Sprite oder Tequilla-Sunrise oder sonstwas. Ihr Körper wirkte eher zierlich und doch trug dieses Mädel nun den ganzen Abend randvolle Tabletts raus auf die Terrasse zu den Schicksen und Mickeys. Ihr Kellnerportmonaie klatschte ihr dabei immer mal wieder in seiner Halterung auf den Arsch. Ihre Anmut in jeder ihrer Bewegungen versetzte mich jedesmal in Erstaunen. Sie zu beobachten, bereitete mir mehr Vergnügen als jedes Spielfilmabendprogramm in der Glotze. Ich würde schätzen, daß ich mindestens fünfzehn Jahre älter als sie war. Sie war bestimmt noch keine fünfundzwanzig. Ich vermied es immer, durch irgendetwas groß auf mich aufmerksam zu machen. Wenn man vor der Glotze sitzt, macht man ja auch nicht auf sich aufmerksam. Trotzdem kam sie einen Abend, es war ein Mittwoch, glaube ich, an meinen Tisch in der Fensternische, stützte ihre schlanken festen Arme auf den Marmortisch, sah mir direkt in die Augen und fragte mich, was ich von ihr wolle? Ich hatte schon einiges getrunken, doch meine Verblüffung ließ mich schlagartig nüchtern werden. Es war so, als ob sie gerade aus meinem Fernseher gekrabbelt käme. Ich sagte: "Ich nehme einen Scotch, bitte." Sie fuhr hoch und stämmte ihre Hände auf ihre Hüften. "Das meine ich nicht! Ich will von Ihnen wissen, warum sie immer nur kommen, wenn ich arbeite und mir den ganzen Abend nachstarren? Sind Sie pervers?"
"Ähm, ich weiß nicht", erwiderte ich. "Ich glaube nicht, daß ich das bin. Es ist nur so... also, ähm... ich schaue Ihnen gern zu. Wie Sie sich bewegen. Was Sie anhaben. Wie geschickt und fleißig Sie Ihre Arbeit hier erledigen. Ich finde das sehr ästhetisch, was Sie machen, und nunja, ich liebe Ästhetik."
"Und weiter wollen Sie nichts? Sie wollen nicht wissen, wie ich heiße, wer ich bin und was ich mache neben dem Job hier? Sie versprechen, daß Sie einfach nur dasitzen, sich betrinken und mich sonst in Ruhe lassen?"
"Ich verspreche es."
Sie brachte mir meinen Scotch und warf mir noch einen spöttischen Blick zu. Sie mußte mich verkauft haben, denn den Rest des Abends wurde ich von jemand anderem bedient. Als ich das nächste mal kam, war ich mir nicht sicher, wie sie reagieren würde, mich zu sehn. Würde sie sich wieder darüber aufregen, daß ich ihr "nachstarre"? Doch nichts dergleichen, sie behandelte mich freundlich und lächelte wie an jedem anderen Tag und wie bei allen anderen Gästen. Sie brachte mir sogar einen Scotch aufs Haus. Einen anderen Abend, ich glaub, es war ein ziemlich ruhiger Montag und ich war bei meinem 3. oder 4. doppelten Gin-Tonic, kam sie plötzlich zu mir rüber und fragte mich, ob ich wissen will, wie sie heiße. Ich sagte ihr, daß ich es nicht wissen wollte. Sie sagte: "Ich bin Inge."
"Tag Inge." Sie zögerte einen Augenblick. "Und wer bist Du? Ich darf Sie doch dutzen, oder?" Die blöde Fragerei ärgerte mich. "Müssen wir das tun", sagte ich.
"Müssen was..?"
"Na, uns kennenlernen?" Ihre Augen trübten sich ein wenig, und ihr Lachen, was vorhin nur angedeutet war, verschwand jetzt - ich hatte sie wohl beleidigt. Als sie sich zum Gehen umwandte, rief ich ihr nach: "Ich heiße Harald", was sie aber jetzt offensichtlich nicht mehr interessierte.
Die nun folgenden Abende bei Inge wurde die schlimmsten. Sie guckte mich nicht mal mehr mit dem Arsch an. Ich wurde immer von jemand anderem bedient, obwohl ich in ihrem Revier saß. Sie lachte den ganzen Abend und schien heiter, außer wenn sie zu mir herüberschaute. In ihrem Blick lag dann echte Verachtung. Das machte alles schlimmer. Meine Laune besserte sich nicht mehr, wenn ich Inge sah. Und als hätte meine Lieblingsserie einen neuen Autor bekommen, mochte ich meine Abendprogramm nicht mehr besonders. Für ihren Chef mußte Inge eine Goldgrube gewesen sein, denn ich trank jetzt soviel, daß mir kaum noch Geld zum essen übrig blieb. Schließlich machte ich Schluß mit der Sache und ging nicht mehr in Inges Laden. Ich setzte mich in eine echte Pinte, wo ich mich schlagartig wohler fühlte. Ich hörte auch auf, diese Longdrinks zu trinken und kippte stattdessen literweise Bier. Daß man öfter aufs Klo muß, störte mich nicht mehr. Außer Gestalten, die genauso kaputt waren wie ich, gab es hier ja nichts zu sehen.
Sie fehlte mir richtig, als wären wir ein Liebespaar gewesen oder sowas. Naja, ich würde darüber hinwegkommen, ich bin noch über ganz andere Sachen weggekommen. Das hier ist dagegen sehr leicht, dachte ich.

- ende -

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