Tochter des Schicksals

Sie sind hinter mir her, und sie jagen mich. Ich renne durch den Wald, und die Bluse hängt mir schon in Fetzen runter. Zerrissen von den Dornen ziehen sich blutige Striemen über meine Brüste. Statt Milch geben sie Blut, vertropfen es sinnlos auf den Waldboden, wo wenig später gierig-glitschige Hundeschnauzen nach mir wittern. Aus den Lefzen trieft ihnen der Geifer. Ich renne und möchte schreien. Aber meine Hilferufe würden doch nur von meinen Verfolgern aufgeschnappt. Schließlich verheddere ich im Gestrüpp und falle, die Hunde sind schon ganz nah.

Also gut, ich erhebe mich, klopfe sauber, was von meinem Rock noch übrig ist, zupfe das zerlumpte Damen-Hemd zurecht und drehe mich zu ihnen um. Die Hunde bleiben vor mir stehen. Ich gehe auf sie zu, schaue ihnen flüchtig in die Augen, ich erkenne den Leithund, hebe langsam, mit geradem Rücken, einen Stock vom Boden auf, um ihm damit auf die Schnauze zu schlagen, als die edlen Herren angeritten kommen. „Schafft die Metze auf den Scheiterhaufen, daß sie die Flammen läutern.“ Die Diener schauen ihre Herren an, dann mich. Zu Fünft kommen sie auf mich zu, ich fixiere den Zweitnächsten, dann schlage ich dem Ersten mit meinem Stock in der Hand den Schädel ein. Einer der Herren zückt darauf seinen Degen und reitet auf mich zu. Im letzten Moment wechsel ich die Seite und löse ihm im Vorbeireiten die Sattelschnalle. Er stürztunglücklich und bleibt mit gebrochenem Schädel im Unterholz liegen. Ich nehme mir seinen Degen, springe von einem Baumstumpf breitbeinig auf sein Pferd und lasse es in Richtung der übrigen Herren und Diener traben. Dem ersten Jüngling, der mir an das Zaumzeug greift, durchtrenne ich die Halsschlagader, daß es zischt und sprudelt. Alle Männer schrecken nun zurück. Sie ergreifen die Flucht. Vor ihrem Prinzen werden sie später erklären, daß der Leibhaftige herniedergestiegen und ich ihnen auf einem feuerspeienden Drachen avongaloppiert sei.
Ich reite zu meinem Vater, flehe ihn an, mit mir zusammen fort zu gehen aus diesen Landen. Doch er beschwichtigt nur, es wird ihm schon nichts geschehen. Es bricht mir das Herz, aber ich muß fort. Ich habe ihn nie wieder gesehen, weiß nicht um sein Schicksal und fortan um das meiner einstigen Heimat. 3 Monate bin ich geritten. Traf verständige Wichtel und Kobolde, die mir weiterhalfen, auch gute Menschen traf ich ein paar wenige, aber ich mied Städte und Dörfer, wo nach mir vielleicht steckbrieflich gesucht wurde. Ich war sicher, daß sie mich für vogelfrei erklärt hatten.
Ich kam an ein Meer, und in der Kombüse eines größeren Passagierschiffes konnten sie Mägde gebrauchen. Es fuhr nach Afrika, und ich blieb die ganze Fahrt über unsichtbar, nur der schwule Koch, die anderen Mägde, Wäscherinnen und Schiffsjungen wußten von mir. Manche von ihnen boten den feinen Herren an Bord ihre Dienste an. Sie erhofften sich mehr als einen Taler, erhofften sich tatsächlich Liebe von diesen Adligen. Ich blieb unter Deck bis zu unserer Ankunft in Sansibar. Ich traf hier noch am selben Tag einen Massai, der mich, aufgrund meiner Hautfarbe, sofort zu seiner Frau machen wollte. Ich wanderte mit ihm und anderen männlichen Stammesmitgliedern 3 Wochen durch das Land. Dann waren wir bei seiner Sippe. Es gab eine Zeremonie, ich wurde aufgenommen und zu einer seiner Frauen gemacht. Ich war, wie ich erkennen mußte, seine Fünfte.

Ich bin jetzt alt, den andern fällt meine Hautfarbe gar nicht mehr auf, ich bin zu einem ihrer Schamanen geworden. Der einzig weibliche, den es je gegeben hat bei ihnen! Früher wetterten einige Krieger dagegen. Aber die anderen Schamanen begründeten ihre Entscheidung ebengerade mit meiner weißen Haut und fremden Herkunft. Daher sei ich als einzige Frau berechtigt, Schamanin unter ihnen zu sein! Mein Mann, der mich herbrachte, war schon nach weniger als einem Ehejahr verstorben. Er geriet bei der Jagd unter ein Nashorn. Sie wußten nicht, was sie mit mir anfangen sollten? Verstoßen, wie seine anderen Frauen, die ihm keine Kinder geschenkt hatten? Der alte Schamane Hodi, der vom ersten Tag meiner Ankunft bei ihnen Sympathie für mich empfand, setzte sich am heftigsten dafür ein, daß ich in den Kreis ihrer Weisen aufstieg. Ich hätte mich damals nicht erheben brauchen, dachte ich, und von den Hunden zerfleischen lassen können. Dann wäre es mir wie den andern Frauen ergangen, die nach dem Tod unseres Ehemannes in die Wüste geschickt wurden, und von denen Hyänen bald das erkaltete Fleisch rissen. Aber mein Blut wallte dagegen an, und ich erhob mich. Warum, weiß ich nicht, niemand hat mir gesagt, mich so zu verhalten, mir das Leben zu erhalten und meinem Vater den Tod zu bringen. Ich weine heute noch manchmal um ihn. Aber das alles liegt fern, in Europa, und erscheint mir nur noch wie ein Traum.

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