Der Schriftsteller

Ich zog durch die Kneipen meiner Stadt, wie es in jungen Jahren meine Angewohnheit geworden war. Ich bekam jeden Monat einen Haufen Geld aufs Konto von meinen Eltern überwiesen. Sie investierten in meine Zukunft. Als ob man sich seine oder die Zukunft der Kinder mit Geld kaufen könnte! Hm, was würde ich meinem Kind raten, wenn es so wäre wie ich? Das ist utopisch, die wenigsten sind wie ich, und mein Kind wäre ganz bestimmt wieder ein Normalo oder eine Normala. So ein Dachschaden wie meiner ist nicht erblich. Wahrscheinlich wählt Gott persönlich hier und da ein paar Trottel aus, die er einen Blick in seinen großen Ballsaal werfen läßt. Er lacht sich dann kaputt, wenn diese von seinem Glanz Geblendeten versuchen, sich in der irdischen Dunkelheit zurechtzufinden...
Jedenfalls kam ich in eine Kneipe, in der ich vorher noch nie gewesen war. Es lief guter Rock, das Licht gedimmt – oder flackerten sogar Kerzen? Jedenfalls fühlte ich mich auf Anhieb hier wohl. Am Tresen saß ein Typ in einem langen ehemals weißen Mantel. Er saß auf dem Barhocker und der Saum des Mantels reichte fast bis auf den dreckigen Fußboden. An ein, zwei Tischen saßen die üblichen langweiligen Leute, aber der Typ mit dem Mantel interessierte mich. Ich setzte mich auch an den Tresen, im respektvollen Abstand, aber doch in seiner Nähe. Vor ihm stand ein fast leeres 0,2-Glas Kölsch, und der Wirt stellte ein volles daneben. Er sorgte dafür, daß bei dem Typ im Mantel der Nachschub nicht abriß. Murrig fragte mich der Wirt, was ich wolle. Er mochte keine jungen unbekannten Leute in seiner Kneipe. Verständlich, denn die machten meistens Ärger.
Als der Wirt sah, daß ich keinen Ärger machen, sondern auch einfach nur Kölsch trinken wollte, nahm er sich in seinem Mißtrauen mir gegenüber etwas zurück. Der Typ im Mantel las. Gelegentlich nahm er einen Schluck Kölsch. Ohne aufzuschauen. Automatisch bekam er vom Wirt ein neues hingestellt, wenn das alte leer zu werden drohte. Ich versuchte, einen Blick auf die Seiten seines Buches zu erhaschen, doch saß er zuweit entfernt, so daß die Perspektive zu schräg zum Lesen war. Ich wollte ihn nicht stören, seine Gedanken, die ihm gerade beim Lesen kamen, unterbrechen. Ich haßte das, wenn das bei mir jemand tat. Ich las gerne in Umgebung von Menschen und Geräuschen. Solange sie einen nicht direkt ansprachen! Da sitzt man vertieft in eine fiktionale Welt und dann meint irgendjemand, seine reale Welt müßte für mich jetzt interessanter sein. Wenn sie das wäre, würde ich aufblicken – ganz von alleine, aber sowas respektiert keiner. Die Menschen glauben, wenn jemand in der Öffentlichkeit liest, hätten sie das Recht, ihn zu stören. Ich finde, man hat dazu genausoviel Recht, wie man das Recht hat, mit dem Auto einen Fahrradfahrer umzunieten, bloß weil er sich auf der Fahrbahn befindet.
Also sprach ich den Typ im Mantel nicht an und wartete, bis er aufsah und mich musterte. Er hob sein Glas und prostete mir zu. „Prost“, erwiderte ich, froh über seine Aufmerksamkeit.
„Darf ich sie fragen, was sie von Beruf sind?“, eröffnete ich das Gespräch. Sie sehen interessant aus, finde ich, vielleicht so, wie ich in zwanzig Jahren aussehehn werde. Ich frage, da ich keine Ahnung habe, was ich mit meinem Leben anfangen soll. Und vielleicht bekomme ich von Ihnen eine Anregung.“ Erstaunt zog der Typ im Mantel seine Augenbrauen nach oben.
„Ich bin Schriftsteller“, sagte er dann, „aber es verkauft sich nicht gut. Werden Sie besser etwas anderes.“
„Was schreiben Sie denn?“, fragte ich neugierig.
„Ich arbeite seit Monaten an einem Historienroman. Ich lese auch gerade dieses Sachbuch über Friedrich den Großen, wissen Sie, der Roman spielt nämlich im 12. Jahrhundert am Kaiserhof.“
„Oh“, sagte ich und kam mir blöd vor, daß mir nichts besseres dazu einfiel. Ich hatte selber hin und wieder mit dem Gedanken gespielt, Schriftsteller zu werden, aber wenn ich wirklich welche traf, enttäuschten sie mich. Sie waren genauso abhängig und geistig unfrei, wie jeder andere Mensch auch. Wenn Historienromane angesagt waren, mußten sie Historienromane liefern. Sie waren Handwerker, keine Künstler. Für Kunst gibt es kein Interesse. Wenn man nicht das Schildchen „Leonardo“ unter das Bild klebt, interessiert sich keiner für das Gemälde. Und wenn man seinem Gegenüber nicht in die Wange kneift, nimmt es einen überhaupt nicht wahr. Ich verabschiedete mich von dem Schriftsteller im langen Mantel und zog wieder durch die Straßen. Das Geld ausgeben, das meine Eltern an mir vergeudeten.

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